Wach bleiben - Erinnern für heute und morgen

Aktivitäten der Städt. Gesamtschule Nettetal
zur Erinnerung an die jüdischen Bürgerinnen und Bürger
und die jüdische Kultur in ihrer Stadt

Mahnmal an die Zerstörung der Synagoge in Breyell
- Interview mit der Künstlerin -

Die Doppeldeutigkeit ist beabsichtigt

Interview mit Andrea Natterer

Andrea Natterer übernahm die künstlerische Leitung für die jüdische Gedenkstätte in Breyell. Die Kunstlehrerin studierte in Düsseldorf, Berlin und Paris. Seit 2009 ist sie Lehrerin an der Gesamtschule Nettetal.

Was unterscheidet ein "Mahnmal" von einer Gedenkstätte und warum legen Sie wert auf die Betonung letzteres?

Mir war ist es wichtig, dass wir eine Gedenkstätte geschaffen haben, die zum Verweilen, Nachdenken, Meditieren oder auch Diskutieren einlädt. Passanten können auf der Bank Platz nehmen, die Großmutter könnte beispielsweise dem Enkel erzählen, was sie in dieser Zeit erlebt hat und so Geschichte lebendig erhalten. Das Denkmal im weitesten Sinne ist in die Umgebung integriert.
Bisher befindet sich zwar nur eine Bank vor der Skulptur, die Sitzmöglichkeiten können und sollen aber noch durch Steine ergänzt werden, so dass sich auch Gruppen dort niederlassen können .
Der Begriff "Mahnmal" ist insofern negativ besetzt, als dass "gemahnt" werden soll. Wen denn? Die Nachkommen, die für die Vergangenheit nicht verantwortlich sind?
Wir wollen eher erinnern, in gewisser Weise enthält die Aussage natürlich auch eine Mahnung: durch die Inschrift der Namen gedenken wir der Opfer.
Gleichzeitig, - daher auch das Motto auf der Außenseite der Figuren - wollen wir zum "wach bleiben" aufrufen: Erinnern an heute und morgen. Das bedeutet Hinschauen, wo heute Unrecht geschieht in der Gegenwart und Handeln, um Menschenwürde zu wahren.

Warum ist das Mahnmal eigentlich so rostig?

Wir haben Corten-Stahl verwendet, der den Vorteil hat, dass er nur anrostet, aber nicht durchrostet. Dadurch ist gewährleistet, dass man auch in 20 Jahren die eingravierte Schrift noch lesen kann.

Und warum haben Sie das Mahnmal nicht lackiert?

Der Corten-Stahl entwickelt eine farbige Patina, d.h. eine dünne Schicht durch Oxidation, von Gelb über Grün bis zu Orange, die uns im Kontext der Erinnerungskultur angemessen erschien, da sie sich die Oberfläche verändert und somit den Alterungsprozess zeigt. Wenn wir das Mahnmal lackiert hätten, würde es regelmäßige Pflege und Kosten zur Wiederherstellung verursachen.

Wen sollen die beiden Figuren darstellen?

Die Mutter- und Kind-Darstellung ist ikonografisch in der Kunstgeschichte eine immer wiederkehrende Erscheinung. Wir kennen sie aus dem Mittelalter in der Mariendarstellung, von der Pieta bei Michelangelo, von Käthe Kollwitz, die ja Anti-Kriegsskulpturen geschaffen hat und als immer wiederkehrendes Thema von Henry Moore. Die Idee ist, dass im öffentlichen Raum vorbeigehende Personen sich mit dieser Figurengruppe identifizieren können, weil sie die Silhouetten der menschlichen Durchschnittsgröße entsprechen.
Gleichzeitig aber können die beiden auch für die Opfer stehen, die während der Progromnacht den Brand der Synagoge erlebt haben bzw. ermordet wurden. Diese Doppeldeutigkeit von Identifikation und Opferdarstellung ist präsent und beabsichtigt.

Warum steht das Mahnmal nicht auf einem Sockel?

Auf einem Sockel stehen gewöhnlich Figuren wie Würdenträger, Dichter oder Kaiser, die bewundert werden sollen. Im Zuge des Demokratisierungsprozesses hat Auguste Rodin "Die Bürger von Calais" auf einer kleinen Plinte, einem etwa 10 cm hohen Sockel, also fast in Augenhöhe dargestellt. Das Aussparen der Plinthe ist noch radikaer, d.h., wir sind mit den Opfern, wenn wir die Figuren als solche deuten, auf Augenhöhe. Sie waren also Leute von uns, Menschen wie Du und ich.

Was hat die Scherbe in der angedeuteten Synagogenfassade zu bedeuten?

Die Scherbe ist das letzte Relikt der alten Synagoge. Es wurde daher als Symbol zur Erinnerung an das einstige Bauwerk in den Stahl eingelassen. Weitere Informationen finden sich auf der eingravierten Website www.mahnmal.ge-nettetal.de



Das Mahnmal zeigt ein Kind mit seiner Mutter vor der Nachbildung der Synagoge, die einst in Breyell stand. Verzeichnet darauf sind Namen der Opfer. FOTO: BUSCH (RP)

Das Interview ist in leicht abgewandelter Form (Philipp Peters) abgedruckt in:
Rheinische Post, Grenzland-Kurier, C4 Stadt Nettetal, Samstag, 25. Januar 2014

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